Er war jung und voller Tatendrang, das merkte man gleich, sie bemühte sich wirklich, so schnell wie möglich zu laufen, doch obwohl er zweifellos seinen lockersten Spazierschritt einlegte, konnte sie ihm kaum folgen. „Meine Mutter hat mir erzählt, sie hätten mal diesen Plattenladen gehabt. Den in der Sophienallee.“
Sie kam aus dem Staunen nicht raus. Sie dachte, sie hätte den Burschen im Geschäft zum ersten Mal gesehn, und er wusste ihren halben Lebenslauf?
„Ihre Mutter..????“

„Ich hab sie doch schon öfter gesehn“ sagte er, „sie wohnen im Nachbarhaus. Ich bin gerade am Weg heim, es wäre gar kein Umweg für mich.“ Sie wusste gar nicht was sie sagen sollte. Was sie dachte, konnte sie nicht sagen: „Haben sie ihre xxl-Kondome bekommen, junger Mann?“ Nein, was sollte er sich denken, wenn sie ihn das fragen würde. Stattdessen kam ein leises „danke schön, ganz lieb“ und schon schnappte er sich die beiden Einkaufstaschen und ging in die richtige Richtung.

Wie ein Donnerschlag traf es sie, als ein junger Mann sie ansprach: „Darf ich ihnen beim Tragen helfen?“. Erschreckt schaute sie ihn an, in ihrem Kopf begann es zu rattern, werisserwastuterwaswiller…. Doch dann wurde ihr plötzlich bewusst: „Das ist doch der junge Mann aus dem Laden, der mit dem… nein, kann nicht sein, so ein fescher junger Mann.“

Hätte sie nur nicht diesen Film gesehn gestern im Fernsehen. Herold und Maude. Wie kam die alte Schlampe zu so einem jungen Liebhaber. Das ist doch vollkommen unrealistisch. Man stelle sich nur mal vor: Flower Power im Seniorenheim. Die Pensionisten rauchen sich jeden Tag ein und schlafen mit den jungen Zivildienern. Ein Witz. Links und rechts von ihr wackelten knackige Hintern. Je mehr es waren, desto knackiger wirkten diese auf sie.

Woher das auf einmal kam? Jahrelang hatte sie keinen Sex mehr gehabt, nicht einmal an Sex gedacht. Ein Handkuss vom alten Herrn Hofrat war schon das Höchste an Erotik, das ihr in den letzten 10 Jahren einfiel. Und jetzt? Wo immer sie hinschaute waren diese knackigen Ärsche junger Männer in engen Jeans. Überall sah sie sie. Wo waren die in den letzten Jahren, Jahrzehnten eigentlich schon, gewesen?
Noch einmal jung sein wolle sie sein, sie wüsste schon umzugehen mit den Buben, bei der Erfahrung, die sie hatte.

Wenig später an der Kassa sah sie, wie die junge Verkäuferin mit der Filialleiterin tuschelte und dabei genau auf die Hosen des an der Kassa wartenden Lustobjekts - ja, Lustobjekts, denn nichts anderes war er in diesem Moment - schauten. Man konnte ihnen ansehen, was sie sprachen. Wie sie sich lustig machten zwar, aber in Wirklichkeit neidig den Schönling betrachteten und ihn liebend gerne gegen ihre bierbäuchigen unrasierten Männer daheim tauschen würden, die schon seit Jahren keine Lust mehr hatten, mit ihnen zu schlafen.
Wieder wurde sie rot über ihre eigenen Gedanken.

Der junge Mann mit dem knackigen Hintern. Verstohlen hatte sie hingeschaut, hatte auch gesehen, dass die Verkäuferin rot geworden war, noch dazu musste sie verneinen. Ob sie denn wüsste, woher er solche Spezialpräservative bekommen könne, hatte er nachgehakt. Ganz warm war ihr geworden bei den Gedanken, den Erinnerungen an früher, die der junge Mann wieder hervorrief. Und das Mädchen? Davongelaufen war sie, zu peinlich war ihr ihr hochroter Kopf. Dabei, was war denn da schon besonderes dran. Für Sekunden hatte sie sich überlegt, dem jungen Mann zu sagen, dass sie gestern erst, beim Spazierengehen in der Innenstadt so einen Laden gesehen hätte. Und wenn sie ausprobieren dürfe, ob ihm die Präservative passen, würde sie ihn sogar hinbringen, ihm das Geschäft zeigen und sogar die Gummis bezahlen. Bei dem Gedanken war dann auch sie rot geworden, versteckte sich im hochgestellten Kragen ihres Persianermantels und stahl sich ums Eck zum Gewürzregal.

Sie blieb stehen und stellte den Einkauf neben sich auf den Boden. Ein wenig verschnaufen, nur kurz. Die Schultern entspannen. Nächstes Mal würde sie auf das Angebot "Nimm 3, zahl 2" verzichten, obwohl das bei ihrer spärlichen Pension noch mehr Verzicht bedeuten würde. Hmm, die Batterien hätte sie eigentlich auch nicht kaufen müssen, dachte sie, sie werden sowieso wieder nur auslaufen. Zu selten hatte sie den Vibrator in den letzten Jahren benutzt. Aber als sie da im Geschäft stand, der junge Mann neben ihr, der am Nachbarregal Präservative aussuchte und ganz selbstverständlich die Verkäuferin fragte, ob sie denn auch dünne Gummis in Extragröße hätten, da war ihr die Idee gekommen, mal wieder ihr Nachtkästchen auszuräumen.

Verzweifelte Blicke sollten junge Menschen auffordern, ihr doch beim Tragen des Einkaufs zu helfen. Doch niemand reagierte. "Wo ist nur die gute alte Schule hin. Als ich noch jung war...", dachte sie, doch sie dachte den Satz nicht fertig. Denn sie war zwar alt geworden, ihr schmerzte die Hüfte, sie sah nicht mehr sonderlich gut, aber erinnern, erinnern konnte sie sich. Niemals hatte sie einer wildfremden Frau den Einkauf heimgetragen. So wie bei all jenen heute hatte sich ihr Blick stets von den Hilfesuchenden abgewandt. Ja, wenn sie einmal jemand gefragt hätte, natürlich hätte sie sofort zugegriffen - wenn es die Zeit erlaubt hätte - aber von alleine auf jemanden zugehn und Hilfe anbieten? Um Gottes Willen, das Mutterl hätte sich noch zu Tode erschreckt, hätte sie vielleicht für einen Straßendieb gehalten, sowas konnte man ja nicht riskieren.